Im Herbst 2024 erreichte uns eine Nachricht von unseren Freunden Vanesa und Silvio aus Argentinien: „Wir wollen uns einen Traum erfüllen und den Jakobsweg
wandern, kommt ihr mit?“ Mit dem hatten wir nun wirklich nicht gerechnet. Wir fragten nach und telefonierten zusammen und stellten fest, dass wir alle vier uns noch nicht sehr viele Gedanken
darüber gemacht hatten worauf wir uns da einlassen würden. Der erste grobe Plan unserer Freunde war, von Leon, auf dem bekanntesten aller Jakobswege, nach Santiago de Compostela zu gehen.
Ueli begann zu recherchieren und stellte schnell einmal fest, dass der sogenannte „Camino Frances“ 2024 von etwa der Hälfte der fast 500‘000 Pilger ganz oder teilweise begangen wurde. Da die
Saison etwa von April bis Oktober dauert und die Spitze im August erreicht wird, kann man davon ausgehen, dass zumindest auf den letzten 100 km des Camino Frances alleine täglich 500 bis 2000
Leute unterwegs sind. Das kam für uns nicht infrage und so suchten Ueli nach Alternativen.
Bald stolperte er über den Camino Primitivo: Mit 320 km kann man diesen in zwei Wochen schaffen und laut Statistiken wird dieser ziemlich genau zehnmal weniger begangen. Wenn wir also in der
Vorsaison gehen könnten, wären das so um die 50 Personen pro Tag. Aber, der Camino Primitivo gehört zu den physisch anspruchsvollsten Wegen, da er die asturischen und galizischen Berge
durchquert. Zudem hat es bedeutend weniger Verpflegungs- und Übernachtungsangebote.
Myrta und ich waren uns bald einig, der oder keiner. Nun mussten wir unsere Freunde noch überzeugen. Nachdem ihnen aber mehr Details und Zahlen vorgelegt hatten, waren auch sie dabei. Aber, während wir die Berge und damit Trainingsmöglichkeit vor der Haustür haben, sieht es in Argentinien etwas anders aus. Im Umkreis von 400 km der Beiden gibt es keinen einzigen Berg und auch zum Strecken trainieren sind die Voraussetzungen denkbar schlecht. Im weiten Umkreis nur topfebene Landwirtschaft. Kein Wunder waren bei ihnen auch kaum Wandererfahrungen vorhanden. Trotzdem wollten wir uns gemeinsam der Herausforderung stellen: Täglich 20–25 km Etappen mit 400–1000 Höhenmetern!
Ueli begann mit der Detailplanung und parallel begannen wir im März mit einem Trainingsprogramm. Dann aber ein Rückschlag. Myrta zog sich 4 Wochen vor dem geplanten Start, bei einer abrupten Bewegung, einen Muskelfaserriss in der Kniekehle zu, aus die Maus! Mindestens 4 Wochen keine grosse Belastung und dann ein vorsichtiger Wiederaufbau, war des Doktors Diagnose.
Der Plan war bereits weit fortgeschritten und eine Verschiebung schwierig. In Argentinien gingen die Vorbereitung weiter und wir beschlossen, dass Ueli Vanesa und Silvio alleine begleiten würde. Mit etwa 400 km zu Fuss und 300 km mit dem Mountainbike in zwei Monaten war Ueli fit wie kaum zuvor. Die ersten drei Etappen des Jurahöhenwegs sind etwa vergleichbar mit dem Camino Primitivo. So wurden diese zum finalen Fitnesstest mit dem Rucksackgewicht, wie dann auch in Spanien. 67 km in drei Tagen mit bis zu 900 Höhenmetern waren auf dem Programm und wurden ohne grössere Schwierigkeiten gemeistert. Einzig die Übernachtung und Verpflegung fand zu Hause statt, denn nie war Start beziehungsweise Ziel der Etappe mehr als eine Stunde mit dem ÖV entfernt.
Der finale Plan für den Camino war dann, die ersten Tagesetappen kürzer als üblich zu planen und so auch die Argentinier eine gute Chance hatten sich fit zu laufen.
Myrta wollte die Gelegenheit wenigstens nutzen, um Vanesa und Silvio wieder mal persönlich zu treffen. Unsere Freunde reisten von Buenos Aires nach Madrid an und so flogen auch wir nach Madrid und nahmen die Beiden am Flughafen in Empfang. Mit dem Zug ging es an den Start in Oviedo. Wir verbrachten zwei Tage in dieser hübschen Stadt. Erst wurden die Freunde bei Decathlon komplett ausgerüstet und die Rucksäcke gepackt. Dann feierten wir gemeinsam Uelis 70. Geburtstag. Das Wetter war regnerisch und kühl, aber die Prognose für den Start am 16. Mai war gut, besser hätte es nicht passen können. Es blieb aber auch genug Zeit, Oviedo zu entdecken und die Vorfreude zusammen zu geniessen. Dann aber trennten sich unsere Wege. Myrta flog nach Hause zurück und wir schnürten die Schuhe und schulterten den Rucksack.
Da Myrta nun leider nicht dabei sein konnte, wird der folgende Bericht von Ueli in der Wir-Form geschrieben
20 km / 460 Hm / 4:15 h netto
Noch war es kühl, der Himmel bedeckt, aber regnen sollte es nicht auf der ersten Etappe. Nach dem Abschied von Myrta schlenderten wir durch die Stadt und gaben unterwegs den Koffer mit den zusätzlichen Kleidern bei der Post ab. Diese spediert das Gepäckstück nach Santiago, wo es bis zu unserer Ankunft eingelagert wird.
Bei der Kathedrale begann unser Abenteuer, offizielle 323 km lagen vor uns. Eine gute Stunde brauchten wir, bis die Stadt schliesslich hinter uns lag. Das Wetter klarte zunehmend auf und bald wanderten wir bei angenehmen Temperaturen und leicht bewölktem Himmel. Schon bald konnten wir bei einer Kapelle unseren ersten Stempel in den „Credencial“, den Pilgerpass, drücken. Auf den unbefestigten Waldwegen mussten wir immer wieder Schlammpassagen umgehen, Überbleibsel der Regentage in der vergangenen Woche. Nur selten kamen wir durch ein Dorf und wenn wirkten sie verlassen. Ein stetes rauf und runter, ohne aber grössere Steigungen, charakterisiert diese Etappe. Wenn der Weg auf Teerstrassen verlief, herrschte kaum oder gar kein Verkehr. Nach insgesamt etwa sechs Stunden erreichten wir das Tagesziel, die privat geführte Herberge Villa Palatina.
Bald stellte sich heraus, dass der Besitzer selber auch ein Mate Trinker ist, was Silvio und Vanesa speziell freute. Aber auch das kühle Bier schmeckte uns, denn die Temperatur war im Laufe des Tages merklich gestiegen. Wir genossen die Erholung von der ersten Prüfung und freuten uns bereits auf das Nachtessen.
17,5 km /400 Hm / 3:45 h netto
Wir hatten trotz der anderen Gäste im 8er Zimmer recht gut geschlafen. Nach dem Frühstück machten wir uns bei nebligem Wetter wieder auf den Weg. Anfangs angenehm auf schmalen Wegen und Kiesstrassen dem Rio Nalon entlang. Nach überqueren des Flusses folgt der Camino ein kurzes Stück der Hauptstrasse bis man dann in den Aussenquartieren auf einem Trottoir gehen kann. Es zieht sich durch die langgezogene Stadt bis man das historische Zentrum von Grado erreicht. In einem Kaffee machten wir eine erste Pause und genossen einen weiteren Kaffee. Es fällt auch hier auf, wie viele Ladengeschäfte leer und zum Vermieten ausgeschrieben sind. Auch viele Häuser entlang des Camino sind verlassen und es werden Käufer gesucht. Auf einem steilen Anstieg verliessen wir den Ort und wanderten nun meist auf kleinen Nebenstrassen.
Bald zeigte sich die Sonne wieder und es wurde recht warm. Nachdem wir den höchsten Punkt der Etappe erreicht hatten, ging es auf der anderen Seite wieder steil hinunter. Im kleinen, verschlafenen Dorf Samarciellu machten wir Mittagspause und trafen Manuel, ein Schweizer aus dem Kanton Zürich einmal mehr. Viele der ländlichen Häuser haben einen der typischen Kornspeicher gleich nebenan. Ähnlich wie in anderen Regionen stehen diese auf Steinsäulen und grosse Platten verhindern, dass ungebetene Gäste sich an den Vorräten bedienen können.
Wir waren froh, dass der Weg jetzt häufig im schattigen Wald verlief, denn die Sonne brannte ganz schön vom Himmel. In Cornellano angekommen. Tranken wir ein verdientes Bier mit Manuel. Er wollte noch bis Salas weiter, wir hingegen hatten eine Wohnung reserviert im Ort. Viel lief auch in Cornellana nicht, aber immerhin gibt es mehrere Bars und Restaurants. Auch das am Ortsrand gelegene Kloster San Salvador lohnt ein Besuch wenn auch die Kirche, wie fast immer, geschlossen war.
Das Nachtessen nahmen wir gleich gegenüber unserer Unterkunft im Meson Dany ein. Aber dann war bald einmal wieder Bettzeit.
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