Im Herbst 2024 erreichte uns eine Nachricht von unseren Freunden Vanesa und Silvio aus Argentinien: „Wir wollen uns einen Traum erfüllen und den Jakobsweg
wandern, kommt ihr mit?“ Damit hatten wir nun wirklich nicht gerechnet. Wir fragten nach und telefonierten zusammen und stellten fest, dass wir alle vier uns noch nicht sehr viele Gedanken
darüber gemacht hatten, worauf wir uns da einlassen würden. Der erste grobe Plan unserer Freunde war, von Leon, auf dem bekanntesten aller Jakobswege, nach Santiago de Compostela zu gehen.
Ueli begann zu recherchieren und stellte schnell einmal fest, dass der sogenannte „Camino Frances“ 2024 von etwa der Hälfte der fast 500‘000 Pilger ganz oder teilweise begangen wurde. Da die
Saison etwa von April bis Oktober dauert und die Spitze im August erreicht wird, kann man davon ausgehen, dass zumindest auf den letzten 100 km des Camino Frances alleine täglich zwischen 500 und
2000 Leute unterwegs sind. Diese "Massenwanderung" wollten wir nicht mitmachen, also suchte Ueli nach Alternativen.
Dabei las er u.a. Informationen über den "Camino Primitivo". Mit 320 km Länge kann dieser in zwei Wochen bewältigt werden und laut Statistiken sind auf diesem Weg ziemlich
genau zehnmal weniger Leute unterwegs als auf dem Frances. Wenn wir das Vorhaben in der Vorsaison umsetzen könnten, wären das so um die 50 Personen pro Tag. Auf der anderen
Seite gehört der Camino Primitivo jedoch zu den physisch anspruchsvollsten Wegen, da er die asturischen und galizischen Berge durchquert. Zudem gibt es bedeutend weniger Verpflegungs- und
Übernachtungsangebote.
Myrta und ich waren uns bald einig, diesen oder keinen. Nun mussten wir noch unsere Freunde überzeugen. Nachdem ihnen Details und Zahlen dieser Variante vorgelegt hatten, waren auch sie einverstanden mit der Wahl. Bezüglich Vorbereitung sahen unsere Möglichkeiten gegenüber denen von Silvio und Vanesa total anders aus. Während wir die Berge vor der Haustür haben, ist die Umgebung in Argentinien weniger ideal. Im Umkreis von 400 km der Beiden gibt es keinen einzigen Berg und auch um Strecken zu trainieren ist die topfebene Landwirtschaftszone, in der sie leben, eher suboptimal. Kein Wunderhatten die beiden kaum Wandererfahrungen. Trotzdem wollten wir uns gemeinsam der Herausforderung stellen: Täglich 20–25 km Etappen mit 400–1000 Höhenmetern!
Ueli begann mit der Detailplanung und parallel begannen wir im März mit einem Trainingsprogramm. Dann aber ein Rückschlag. Myrta zog sich 4 Wochen vor dem geplanten Start, bei einer abrupten Bewegung, einen Muskelfaserriss in der Kniekehle zu, aus die Maus! Mindestens 4 Wochen keine grosse Belastung und dann ein vorsichtiger Wiederaufbau, war des Doktors Diagnose.
Der Plan war bereits weit fortgeschritten und eine Verschiebung schwierig. Die beiden Freunde in Argentinien waren inzwischen auch gut vorbereitet, so dass wir beschlossen, dass Ueli Vanesa und Silvio alleine begleiten würde. Mit etwa 400 km zu Fuss und 300 km mit dem Mountainbike in zwei Monaten war Ueli fit wie kaum zuvor. Die ersten drei Etappen des Jurahöhenwegs sind etwa vergleichbar mit dem Camino Primitivo, also wurden diese zum finalen Fitnesstest inklusive Rucksackgewicht, wie später in Spanien. 67 km in drei Tagen mit bis zu 900 Höhenmetern standen auf dem Programm und wurden ohne grössere Schwierigkeiten gemeistert. Einzig Übernachtung und Verpflegung fanden zu Hause statt, denn Start beziehungsweise Ziel der Etappe lagen nie mehr als eine Stunde mit dem ÖV entfernt.
Der finale Plan für den Camino sah so aus, dass die ersten Tagesetappen kürzer als üblich ausfallen würden, so dass auch die Argentinier eine gute Chance hatten, sich fit zu laufen.
Myrta wollte die Gelegenheit nutzen, Vanesa und Silvio wenigstens wieder mal persönlich zu treffen. Unsere Freunde reisten von Buenos Aires nach Madrid an, also flogen auch wir nach Madrid und nahmen die beiden am Flughafen in Empfang. Anschliessend fuhren wir mit dem Zug zum Startort Oviedo. Bevor es losgehen konnte, wurden die Freunde bei Decathlon komplett ausgerüstet und die Rucksäcke gepackt. An einem Abend feierten wir gemeinsam Uelis 70. Geburtstag. Dazwischen blieb genügend Zeit, um die interessante und malerische Stadt Oviedo etwas näher kennen zu lernen. Das Wetter war zwar an beiden Tagen regnerisch und kühl, die Prognose für den Start am 16. Mai sah jedoch gut aus. Wir konnten daher auch die Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer zusammen geniessen. Dann trennten sich unsere Wege. Myrta flog nach Hause zurück und wir schnürten die Schuhe und schulterten den Rucksack.
Da Myrta nun leider nicht dabei sein konnte, wird der folgende Bericht von Ueli in der Wir-Form geschrieben
20 km / 460 Hm / 4:15 h netto
Noch war es kühl, der Himmel bedeckt, aber Regen war nicht angesagt auf der ersten Etappe. Nach dem Abschied von Myrta schlenderten wir durch die Stadt und gaben unterwegs den Koffer mit den zusätzlichen Kleidern bei der Post ab. Diese spediert das Gepäckstück nach Santiago, wo es bis zu unserer Ankunft eingelagert wird.
Bei der Kathedrale begann unser Abenteuer, offizielle 323 km lagen vor uns. Nach einer guten Stunde hatten wir die Stadt hinter uns gelassen. Das Wetter klarte zunehmend auf und bald wanderten wir bei angenehmen Temperaturen und leicht bewölktem Himmel. Schon bald konnten wir bei einer Kapelle unseren ersten Stempel in den „Credencial“, den Pilgerpass, drücken. Auf den nachfolgenden, unbefestigten Waldwegen mussten wir immer wieder Schlammpassagen umgehen, Überbleibsel der Regentage in der vergangenen Woche. Die wenigen Ortschaften, die am Weg lagen, wirkten ziemlich verlassen. Ein stetes rauf und runter, jedoch ohne grössere Steigungen, charakterisierte diese Etappe. Verlief der Weg auf Teerstrassen, herrschte kaum oder gar kein Verkehr. Nach etwa sechs Stunden erreichten wir unser erstes Tagesziel, die privat geführte Herberge Villa Palatina.
Zur Freude von Silvio und Vanesa stellte sich heraus, dass der Besitzer der Unterkunft so wie sie selber, ein leidenschaftlicher Mate Trinker ist. Aber natürlich schmeckte uns auch das kühle Bier, denn die Temperatur war im Laufe des Tages merklich gestiegen. Wir genossen die Erholung von der ersten Prüfung und freuten uns bereits auf das Nachtessen.
17,5 km /400 Hm / 3:45 h netto
Wir hatten trotz der anderen Gäste im 8er Zimmer recht gut geschlafen. Nach dem Frühstück machten wir uns bei nebligem Wetter wieder auf den Weg. Dieser führte anfangs angenehm auf schmalen Pfaden und Kiesstrassen dem Rio Nalon entlang. Nach überqueren des Flusses folgte der Camino ein kurzes Stück der Hauptstrasse, um dann in den Aussenquartieren der Stadt Grado auf einem Trottoir zu verlaufen. Nach einer Weile marschieren durch die langgezogene Stadt erreichten wir das historische Zentrum von Grado. In einem Kaffee machten wir eine erste Pause und genossen einen weiteren Kaffee. Auch hier fiel uns auf, wie viele Ladengeschäfte leer standen und zum Vermieten ausgeschrieben waren. So wie viele Häuser entlang des Camino verlassen waren und auf einen Käufer warteten. Auf einem steilen Anstieg verliessen wir den Ort und wanderten nun meist auf kleinen Nebenstrassen.
Bald zeigte sich die Sonne wieder und es wurde recht warm. Nachdem wir den höchsten Punkt der Etappe erreicht hatten, ging es auf der anderen Seite wieder steil hinunter. Im kleinen, verschlafenen Dorf Samarciellu machten wir Mittagspause und trafen, nicht zum ersten Mal, auf Manuel, einen Schweizer aus dem Kanton Zürich. Es fiel uns auf, dass neben vielen der ländlichen Häuser einer der typischen Kornspeicher stand. Wie in anderen Regionen auch, stehen diese auf Steinsäulen und grosse Platten verhindern, dass ungebetene Gäste sich an den Vorräten bedienen können.
Wir waren froh, dass der Weg jetzt häufig im schattigen Wald verlief, denn die Sonne brannte ganz schön vom Himmel. In Cornellano angekommen. Tranken wir ein verdientes Bier mit Manuel. Er wollte noch bis Salas weiter, wir hingegen hatten im Ort eine Wohnung reserviert. Auch Cornellana entpuppte sich als verschlafenes Nest. Immerhin boten sich mehrere Bars und Restaurants an. Zudem lohnt sich ein Besuch des am Ortsrand gelegenen Klosters San Salvador, obwohl auch hier die Kirche, wie fast immer, geschlossen war.
Das Nachtessen nahmen wir direkt gegenüber unserer Unterkunft im Meson Dany ein. Danach war bald einmal wieder Bettzeit angesagt.
18 km / 700 Hm / 4:15 h netto
Bereits während dem Frühstück hatten sich die letzten Nebelfetzen aufgelöst und dem blauen Himmel Platz gemacht. Die heutige Etappe war eine erste Prüfung unserer Fitness, die ganze Strecke war immer mehr oder weniger ansteigend. So kamen bis am Abend 700 Höhenmeter zusammen.
Ein Einheimischer hatte uns darauf aufmerksam gemacht, dass mitten im Dorf ein Brunnen mit kühlem und sehr gutem Wasser steht. Da das Hahnenwasser wie fast überall mit Chlor versetzt war, nutzten wir diese Gelegenheit gerne, um unsere Flaschen zu füllen. Am Kloster vorbei führte der Weg auf einer schmalen Teerstrasse steil in die Höhe, sodass wir schnell ins Schwitzen gerieten.
Danach verschwand der Camino als schmaler Pfad im schattigen Wald. Dort trafen wir allerdings immer wieder auf schlammige Passagen, entstanden während der langen Regenperiode in den Tagen und Wochen zuvor. Der Weg war in der Folge meist ungeteert und führte öfter an Quellwasser gespeisten Brunnen vorbei. An einer Kapelle holten wir einen weiteren Stempel für unseren Credencial.
Zur Mittagszeit erreichten wir Salas. Der hübsche Ort war neben den paar Pilgern auch von vielen andere Besuchern bevölkert, die ihr Wochenende hier verbrachten. Wir legten im Schatten der Kirche eine Pause ein und bereiteten uns mental auf den finalen Aufstieg zum Etappenziel vor. Die Strecke stieg von Salas aus steil, aber zum Glück im schattigen Wald, 400 Höhenmeter an. Mit dem 8 kg schweren Rucksack am Rücken, verlangte uns dies einiges ab.
Schliesslich hatten wir es geschafft und wir erreichten die Posada de Peregrinos Fontenonaya. Ursprünglich war geplant, die Etappe bis nach La Espina zu verlängern. Der Versuch, dort eine Unterkunft zu buchen scheiterte jedoch, da eine Pension permanent und die zwei anderen Herbergen am Sonntag geschlossen waren. Bei der Posada Fontenonaya handelt es sich um eine von Freiwilligen geführte Unterkunft, welche grundsätzlich kostenlos, um das ganze jedoch finanzieren zu können, auf Spenden angewiesen ist. Beim Nachtessen stellte sich heraus, dass offenbar nicht alle Gäste beim Spenden grosszügig sind, denn es gab lediglich einen gemischten Salat und eine einfache Linsensuppe. Auch das Frühstück fiel entsprechend bescheiden aus. Die Unterkunft an sich bot jedoch alles was wir brauchten und wir verbrachten eine ruhige Nacht in unserem Dreibettzimmer.
Am Abend zog ein heftiges Gewitter mit Starkregen, Nebel und Windböen über uns hinweg. Danach beruhigte sich das Wetter aber schnell wieder.
15 km / 320 Hm / 3:20 h netto
Der Morgen erwartete uns mit vielen Wolken, Regen fiel zum Glück jedoch keiner. Nach dem bescheidenen Frühstück legten wir in La Espina eine frühe Pause ein, tankten noch ein paar Kalorien und genossen einen feinen Kaffee. Bis zum Nachmittag blieben die dunklen Wolken am Himmel, die Regenkleider konnten aber definitiv im Rucksack verbleiben. Der Weg verlief vorwiegend abseits von Strassen, oft auf schlammigen Waldwegen. Da die Etappe kurz und ohne grössere Höhenunterschiede war, erreichten wir Tineo bereits kurz nach Mittag. Auf Empfehlung der Pensionsbesitzerin, genossen wir ein hervorragendes Mittagsmenü in der Bar Tineo, unweit unserer Unterkunft. Für gerade mal 14 Euro erhielten wir ein Dreigangmenü mit mehreren Auswahlmöglichkeiten. Die Suppe wurde in der Schüssel serviert und reichte gut für drei Teller. Auch der Wein wurde grosszügig angeboten, pro Tisch wurde eine Flasche gebracht, egal ob dieser mit einer oder vier Personen besetzt war und es gab, falls nötig, sogar Nachschub. Das Essen war nicht nur reichlich, sondern auch frisch und gut gekocht. Auf die Frage, ob auch abends ein Menü angeboten wird, lachte der Wirt und erklärte, dass er nur von 10 bis 16 Uhr öffnet, was ihm vollkommen reiche.
Nach dem Essen schlenderten wir durch das Städtchen. Das Zentrum der hübschen Kleinstadt ist übersichtlich und gut erhalten, zudem erhält man immer wieder herrliche Ausblicke ins tiefer gelegene Umland. Gegen Abend klarte auch das Wetter auf und versprach Sonne für den kommenden Tag.
Ich hatte mir eine Erkältung zugezogen und blieb abends im Zimmer, in der Hoffnung mich schnellstmöglich davon zu erholen.
20,5 km / 620 Hm / 4:40 h netto
Der Morgen zeigte sich tatsächlich sonnig, wenn auch kühl. Nach der einfachen Etappe vom Vortag war heute wieder etwas mehr Energie gefordert. Aus dem Ortszentrum folgten wir einer Strasse, welche stetig steigend zur Stadt hinausführte. Herrliche Ausblicke zurück auf Tineo und in die asturischen Berge machten den Anstieg abwechslungsreich. Bald waren wir hoch über dem Tal und auf naturbelassenen Wegen unterwegs. Nach etwa 5 km zum Teil steilem Aufstieg erreichten wir den höchsten Punkt des Tages, danach folgte bereits der Abstieg ins Tal. Auch heute gab es unterwegs nur wenige Einkehrmöglichkeiten, die erste folgte nach fast 13 km, was jedoch ganz gut für die Mittagspause passte. An diesen Orten sammeln üblicherweise alle Leute, welche auf der Etappe unterwegs sind. Auch heute trafen wir einig, die wir schon von in den Tagen kennen gelernt hatten.
Nach Borres trafen wir auf eine Verzweigung des Camino Primitivo. Eine Variante führt direkt hoch Richtung Hospitales, wir wählten die untere Route, welche uns an unser Etappenziel Colinas de Arriba brachte. Von Colinas de Arriba aus steigt ein direkter, steiler Weg zurück auf die Originalroute. In der Folge konnten wir die nächste Etappe ein paar Kilometer kürzen und dadurch bis La Mesa weitergehen.
Das Albergue Los Hospitales ist relativ neu und gut ausgestattet. Die Privatzimmer waren zwar alle bereits ausgebucht, aber auch unser Sechser Zimmer war sauber und geräumig. Das Restaurant bot ein einfaches aber gutes Nachtessen und natürlich schätzten wir auch das kalte Bier nach der strengen Etappe.
25 km / 900 Hm / 6 :20 h netto
Heute war die Königsetappe auf unserem Programm: 25 km mit 900 Höhenmeter und das ohne Versorgung auf 20 km. Tiefliegende Wolken versprachen keine optimalen Bedingungen, um die aussichtsreiche und hoch gelegene Route zu begehen. Wir konnten nur hoffen, dass sich diese im Laufe des Tages auflösen würden.
Der Aufstieg zur offiziellen Route ist zwar nicht lang, aber recht steil. Nach einer halben Stunde hatten wir diese Herausforderung gemeistert und die ersten 250 Hm lagen hinter uns. Leider waren wir permanent in Nebel gehüllt, weshalb uns die erwartete tolle Aussicht verwehrt blieb. Die Strecke stieg weiter an, meist über Weiden, wo wir oft nur anhand des Glockengeläuts erahnen konnte, wo die Kühe grasten. Bald kamen die Ruinen des ersten „Hospital“, ehem. Schutzunterkünfte für Pilger, in Sicht. Viel war davon nicht mehr vorhanden, lediglich ein paar Steinhaufen und Mauerreste. Durch den Nebel lag eine mystische Stimmung über der Landschaft, nur der Wind störte die Ruhe, die die Gegend ausstrahlte. Wir kämpften uns weiterhin durch die Wolken, liessen uns jedoch auch durch den steten Nieselregen die Laune nicht verderben. Nach etwa 2 ½ h, meist bergauf und wenig runter, erreichten wir den höchsten Punkt des ganzen Camino Primitivo auf über 1200 müM. Danach stiegen wir zum Puerto de Pola ab, wo wir auf die Hauptstrasse nach Pola de Allende trafen. Im steten Nieselregen und Wind legten wir, nicht verwunderlich, nur eine kurze Mittagspause ein. Der folgende, 2 km lange Abstieg verlangte Konzentration und Trittsicherheit, denn der Weg war steil und durch das lose Geröll rutschig.
Noch bevor wir Montefurado erreichten, brachen vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke und bald wanderten wir bei leicht bewölktem Himmel weiter talwärts. In Montefurado gönnten wir uns eine weitere Pause, diesmal in der Sonne. Der weitere Weg führte meist abseits der Teerstrasse und war angenehm zu gehen. Wir genossen nun die Aussichten, welche uns weiter oben noch verwehrt geblieben waren. Das erste Dorf an der Route, das aus wenigen Häusern bestehende Lago, bot noch immer keine Versorgungsmöglichkeit, einzig eine kleine Kirche lud erneut zu einer kurzen Rast ein.
Schliesslich erreichten wir Berducedo. Erst hier, nach 20 km, folgte die erste Gelegenheit einzukehren und die ersten Herbergen zum Übernachten. Da im Ort jedoch nur etwa 50 Betten zur Verfügung stehen, kommt es hier bereits im Mai zu Kapazitätsengpässen, da quasi alle Pilger die Etappe hier beschliessen wollen. Auch für uns bestand keine Chance, ein Bett zu reservieren, also verlängerten wir die Etappe bis La Mesa, um dort im Albergue Miguelin zu schlafen.
Zum Glück waren wir noch fit genug und auch zeitlich früh dran, sodass wir diese letzten 4 km problemlos hinter uns brachten. Die gebuchte Unterkunft besteht erst seit wenigen Jahren, hat sich aber bereits den Ruf erarbeitet, eine der besten Albergues zu sein. Auch wir wurden nicht enttäuscht. Das Personal war freundlich und hilfsbereit, die Unterkunft sauber und zweckmässig und die Verpflegung hervorragend. Der laut schnarchende Bettnachbar störte mich nicht gross, denn ich hatte mir angewöhnt, mit Ohrstöpseln zu schlafen. Silvio hingegen erlebte eine weniger erholsame Nacht.
21,3 km / 740 Hm / 5 h netto
Da wir die Etappe am Vortag um 4 km verlängert hatten, konnten wir heute ohne Probleme weiter als bis zum üblichen Etappenort Grandas de Salime gehen. Der grösste Vorteil dieser Strategie sollte sich jedoch am Tag darauf zeigen, denn so konnten wir die anspruchsvolle Folgestrecke auf knapp 20 km kürzen.
Zuerst galt es nun aber, eine steile Rampe hoch zu einem Bergsattel zu überwinden. Dort angekommen, folgte ein steiler Abstieg zum Stausee Salime. Immer wieder hatten wir jetzt herrliche Ausblicke hinunter auf den Stausee und die umliegende Bergwelt. Trotz vieler Hinweise, dass dieser Weg sehr schwierig sei, bewältigten wir diesen ohne Probleme, wobei es natürlich die herausfordernden 800 Hm zu überwinden galt. Von der Staumauer aus folgten wir der Strasse hoch bis zum Hotel Las Grandas, der ersten Einkehrmöglichkeit an der Route. Wir genossen die Aussicht auf den See bei einem Kaffee und machten uns anschliessend bereit, weiter bis Grandas de Salime hochzusteigen. Der Weg verlief ein gutes Stück entlang der Teerstrasse, um danach wieder in den Wald einzutauchen. Das hübsche Städtchen Grandas de Salime bot Gelegenheit, eine weitere Rast einzulegen.
Die verbleibenden 5,5 km legten wir in einer guten Stunde zurück und erreichten unser Etappenziel gegen vier Uhr. Ausser uns waren nur die beiden Französinnen, welchen wir davor schon mehrmals begegnet waren, zu Gast im Hotel Rural Castro San Martin. Die Unterkunft ist kein Hotel im üblichen Sinn, sondern ein umgebautes und schön renoviertes Bauernhaus mit meterdicken Bruchsteinmauern. Die Besitzerin betreibt die Unterkunft als Nebenerwerb und bietet gerade mal 9 Betten in kleinen Zimmern an. Da sie hauptberuflich als Kochlehrerin arbeitet, war das Nachtessen entsprechend ein kulinarischer Genuss. Der servierte Hauptgang, ein feiner asturischer Eintopf, hätte auch für 9 Personen mehr als ausgereicht.
21,3 km / 680 Hm / 4:30 h netto
Unsere Gastwirtin war schon früh zur Arbeit gefahren und hatte uns instruiert, wie wir am Morgen zu unserem Frühstück kommen. Wir bedienten uns selber wie geplant und packten einmal mehr unsere Siebensachen. Die Etappe startete mit blauem Himmel und einer 7 km langen Steigung, um die 500 Hm bis zur galizischen Grenze zu überwinden. Meist auf Waldwegen, aber auch immer wieder ein Stück der Strasse entlang, ging es konstant bergan. Richtig steil war erst der Aufstieg zu einer Windkraftanlage. Am höchsten Punkt der Route liessen wir Asturien hinter uns und gelangten in die Provinz Galizien. Nach einem kurzen Abstieg erreichten wir die erste Einkehrmöglichkeit in Acebo. Wir stärkten uns mit einer feinen Tortilla, bevor es weiter ging. Es war offensichtlich, dass Galizien mehr in den Unterhalt und die Signalisierung des Camino steckt. Die Wege waren besser gepflegt, Schlammlöcher gab es kaum noch und viele neue Kilometersteine wiesen uns den Weg. Später erläuterte eine Hinweistafel, woher das nötige Geld kam: natürlich gesponsort von der EU.
Bald sahen wir in der Ferne das erste Mal unser Tagesziel, Fonsagrada. Der Weg dahin war aber noch weit. Auf halber Strecke passierten wir den Kilometerstein, welcher die Hälfte der Distanz zwischen Oviedo und Santiago markiert, 50% des Camino waren geschafft. Der letzte Anstieg hoch nach Fonsagrada hatte es in sich und brachte uns noch einmal ins Schwitzen.
Wir checkten ins Casa Manolo ein und erfrischten uns erst mal. Viel zu sehen gibt es in Fonsagrada nicht. Der Ortsname bedeutet „Heilige Quelle“ und diese sprudelt tatsächlich in der Nähe der Kirche aus dem Boden. In einer Bar genossen wir einen Aperitif und zum Nachtessen versuchten wir die bekannteste galizische Spezialität, den „Pulpo a Feira“. Das pikante Gericht besteht aus zartgekochten Tintenfischtentakeln. Der Wein dazu wurde in flachen Tassen serviert. Nicht nur die Trinkgefässe waren speziell, auch der Wein selber war eher gewohnheitsbedürftig, so dass wir zum ersten Mal die bestellte Flasche nicht leertranken. Meinen Freunden war zudem das Gericht etwas zu pikant, da sie kräftig gewürzte Rezepte nicht gewohnt sind.
Vom Zimmerfenster aus erlebten wir schliesslich einen eindrücklichen Sonnenuntergang.
25 km / 640 Hm / 5:40 h netto
Noch waren wir nicht aus den Bergen draussen und es wartete eine lange Etappe auf uns, gespickt mit zwei kräftigen Anstiegen. Fonsagrado liegt auf einem Bergrücken und deshalb über dem Nebel. Unten in den Tälern konnten wir schon bei Sonnenaufgang ein eindrückliches Nebelmeer beobachten. Da das Trinkwasser auch hier stark gechlort ist, waren wir froh, dass uns der Gastwirt auf einen Brunnen mit Quellwasser aufmerksam gemacht hatte. Diesen erreichten wir etwa 3 km unterhalb der Stadt und füllten unsere Flaschen.
In der Folge führte der aussichtsreiche Weg hoch über dem Tal durch Wiesen und Wälder. Am höchsten Punkt, trafen wir auf eine Gruppe Pilger, welche sich an diesem schönen Ort eine Pause gönnten. Auch hier sahen wir wieder mehrere bekannte Gesichter. Danach ging es hinunter ins Tal, wo sich eine erste Gelegenheit bot, sich im Restaurant „La TaBerna“ zu stärken. Nein, das ist kein Tippfehler, sondern ein Wortspiel. Der Besitzer hatte das Restaurant etwa ein Jahr zuvor übernommen und umbenannt. Der gebürtige Spanier hatte über zwanzig Jahre in Bern gelebt, sprach perfekt Bern Deutsch und hat seine Verbundenheit mit der Stadt Bern in TaBerna verewigt.
Unterdessen war es recht warm geworden und wir waren froh, dass die Route mehrheitlich durch schattigen Wald führte. Noch waren einige heftige Steigungen zu überwinden und die Etappe zog sich gefühlt in die Länge. Schliesslich erreichten wir aber unser Ziel und konnten mit etwas Geduld in die Pension Porta Santa einchecken. Für Verwirrung sorgte, dass neben der Pension auch eine Herberge gleichen Namens im Ort existiert und deshalb einige Leute in der falschen Unterkunft landeten.
Der kleine Ort hat zwar nicht allzu viele Sehenswürdigkeiten, aber ein kleiner Supermarkt, eine Apotheke und drei Bars, beziehungsweise Restaurants, bieten dem Reisenden immerhin, was er braucht. Erstaunlicherweise entdeckten wir im Schaufenster des Eisenwarengeschäfts sogar Compeed Blasenpflaster. Wir wollten im bestbekannten Restaurant des Ortes das Nachtessen einnehmen, aber um halb acht war die Hütte voll und das Menü bereits ausverkauft. Im daneben liegenden Hotel Moneda konnten wir unseren Hunger schliesslich auch stillen. Zwar waren wir dort die einzigen Gäste im Saal, aber am Essen war nichts auszusetzen.
19,5 km / 350 Hm / 4 h netto
Die ganze Etappe bis Lugo war uns mit 30 km etwas zu lang, deshalb wollten wir sie auf zwei Tage aufteilen. Dies erwies sich jedoch als nicht ganz einfach, da die einzige Übernachtungsmöglichkeit, welche etwa in der Hälfte liegt, ausgebucht war. Wir mussten dadurch auf eine Unterkunft ausweichen, welche etwa 1,5 km abseits des Caminos liegt - ein Glücksfall, wie sich zeigen sollte.
Nach einem Frühstück in einer nahen Bar starteten wir einmal mehr im dichten Morgennebel. Da wir aber gleich zu Beginn der Strecke eine grössere Steigung zu bewältigen hatten, kam uns das kühle Wetter ganz gelegen. Als wir die Anhöhe erreicht hatten, lichtete sich der Nebel und machte der Sonne Platz. Der schön angelegte Weg führte uns nach Castroverde, die erste Möglichkeit eine Rast einzulegen. Noch wirkte der Ort wie ausgestorben, aber eine Bar hatte bereits geöffnet. Wir nutzten die Gelegenheit für einen weiteren Kaffee, bevor wir wieder in die Wälder eintauchten. Vilar de Cas war der Ort, wo wir ursprünglich übernachten wollten. Da dies nun nicht möglich war, legten wir nur eine Verpflegungspause ein. Dabei kamen wir mit John und Elspeth aus Neuseeland ins Gespräch, so dass der Zwischenhalt etwas länger dauerte. Das leider ausgebuchte „Pocina de Muniz“ stellte sich als sehr stillvolle Unterkunft heraus, und auch das angeschlossene Outdoorrestaurant schien seinen Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu bieten.
Wir nahmen dann eben die letzten paar Kilometer bis ins Ziel unter die Füsse. Zu unserer Überraschung trafen wir am Camino auf einen Wegweiser, welcher eine direkte Route durch den Wald zum Albergue Rectoral de Romeo signalisierte. Da dieser Weg nicht in meiner Karte verzeichnet war, hatten wir damit gerechnet, über eine Teerstrasse zur Unterkunft zu gelangen. So blieben lediglich 1,5 km auf angenehmen Waldwegen.
Die Herberge entpuppte sich als renoviertes, ehemaliges Pfarrhaus mit sehr stilvoller Einrichtung. Wir genossen die extrem ruhige Lage in einem kleinen Weiler, abseits vom Trubel der Welt. Im Garten machten wir Bekanntschaft mit Lukas, einem verwaisten Entenküken, welches mangels leiblicher Mutter die Nähe zu den Menschen suchte. Er suchte den Kontakt richtiggehend, kuschelte sich gerne an und und genoss die Streicheleinheiten.
In der Nähe des Hauses lag eine kleine Kirche mit einem imposanten Friedhof. Dies liess vermuten, dass der unscheinbare Weiler früher eine grössere Bedeutung gehabt haben muss. Unsere Gastgeberin bestätigte tatsächlich, dass der Camino Primitivo ursprünglich dort vorbei geführt hatte. Heute verläuft der Weg etwas weiter nördlich und lässt Tellado links liegen.
Das Nachtessen war einmal mehr ein Genuss. Die Chefin selber kochte für die Gäste und richtete die Teller liebevoll und gekonnt an. Der Abstecher zu diesem Ort lohnte sich auf jeden Fall.
15 km / 250 Hm / 2:45 h netto
Das Frühstück war ebenso gut und umfangreich wie das Nachtessen. Alles war sehr schön angerichtet und bot was das Herz begehrte.
Ein weiterer, sonniger Tag erwartete uns. Die Berge hatten wir nun endgültig hinter uns gelassen, die Landschaft war flach geworden und Steigungen kaum noch der Rede wert. Wir mussten etwa 2 km Teerstrassen folgen, bis wir wieder auf den Camino Primitivo trafen. Bis an die Stadtgrenze von Lugo verlief dieser dann jedoch wieder meist abseits der Strassen. Danach hiess es erst mal, die Aussenquartiere hinter uns zu bringen. Nachdem wir den Fluss Chanca überquert hatten, stiegen wir zum Stadtzentrum hoch. Noch ausserhalb der Stadtmauer trafen wir auf den stählernen Schriftzug, welcher die letzten 100 km bis Santiago ankündigte. Diese Strecke muss man mindestens gehen, um die „Compostela“, die Pilgerbestätigung, zu erhalten. Genau deshalb, werden wir wohl ab hier bedeutend mehr Leuten auf dem Camino begegnen. Wir haben aber einen Plan B, von dem wir später berichten werden!
Durch ein massives Stadttor gelangten wir in die Altstadt, welche wir durchqueren mussten, da unsere gemietete Wohnung am Südrand der Stadt lag. Dort angekommen, richteten wir uns ein und starteten bald einmal die Waschmaschine, um unsere verschwitzten Kleider zu waschen. Wir hatten einen Ruhetag in Lugo eingeplant, um Santiago erst am Sonntag zu erreichen. Aufgrund der Auffahrtsfestivitäten wurden nebst den Pilgern unzählige andere Gäste für das Wochenende erwartet, was die Verfügbarkeit von Unterkünften natürlich minderte. Die meisten Besucher würden aber Santiago am Sonntag wieder verlassen, was uns entsprechend mehr Optionen bot.
26 km / 380 Hm / 5:30 h netto
Um dem erwarteten Trubel auf dem Camino Frances etwas ausweichen zu können, hatten wir beschlossen, ab Lugo die nördliche Alternativroute zu nehmen. So würden wir nur 1 ½ Tagesetappen auf diesem viel begangenen Camino verbringen. Rund die Hälfte der etwa 500‘000 Pilger wählen jährlich den Camino Frances oder zumindest letzten Kilometer davon. Im Vergleich dazu begehen nur ca. 5% davon den Camino Primitivo, also etwa 25‘000. Die von uns ausgesuchte Route verläuft auf einem separat markierten Weg, welcher kurz vor Sobrado auf den Camino del Norte trifft. (mehr Details bei den untenstehend Informationen).
Schon beim Überqueren der Brücke fiel uns auf, dass viel mehr Leute auf dem Camino unterwegs waren als bisher. Wie schon erwähnt, wer in Lugo startet, erreicht die geforderten 100 km bis Santiago. Am Ende der Stadt verliessen wir die offizielle Camino Primitivo Route und folgten dem nun mit grünen Pfeilen markierten Weg dem Fluss entlang. Nach einer Weile bogen wir in ein wunderschönes, enges Tal ein, um dem Rio Mera zu folgen. Es stellte sich heraus, dass diese rund 4 km zu den landschaftlich schönsten des ganzen Caminos zählen. Durch weitgehend unberührte Natur führte ein schmaler Pfad meist direkt dem Fluss entlang. Herrliche Wälder verzauberten die grüne Landschaft, einzig eine alte Mühle zeugte von menschlichen Einflüssen.
Gegen Mittag hatte sich der morgendliche Nebel wieder aufgelöst. Der Weg verlief weiterhin vorwiegend im Wald und war gut zu begehen. Ausser einigen kleinen Weilern und vereinzelten Bauernhöfen trafen wir kaum auf bewohnte Gebiete. Die kurze Mittagspause genossen wir im Schatten, denn unterdessen war es recht warm geworden. Auf der ganzen heutigen Etappe von 25 km gab es keine einzige Einkehrmöglichkeit, es galt also mit Wasser und Verpflegung vorzusorgen.
In der Karte war eine Vielzahl von prähistorischen Gräbern, sogenannten Dolmen, eingezeichnet. Diese sind zwar in ganz Spanien anzutreffen, hier aber sahen wir dutzende, eines davon lag direkt an unserem Weg. In Friol angekommen, bezogen wir unser Zimmer im „Casa da Albana“, einer hübschen und elegant restaurierten Pension. Der Ort selber ist erstaunlich gross und bot daher mehrere Bars und Restaurants zur Auswahl. Uns wurde das Restaurant „Casa do Grande“ für das Nachtessen empfohlen und wir wurden nicht enttäuscht. Wir liessen uns eine weitere galizische Spezialität, genannt "Fabada", servieren, einen deftigen, schmackhaften Bohneneintopf.
25,3 km / 380Hm / 5:15 h netto
Noch einmal war eine lange Etappe angesagt, allerdings ohne alzugrosse Anstiege. Der Tag begann, wie schon mehrmals, mit Nebel, aber angenehmen Temperaturen. Aus dem Ort hinaus folgten wir dem Fluss, um dann auf Feld- und Waldwegen weiter voranzukommen. Die Wege waren oft mit hohem Gras bewachsen und durch den Tau waren die Füsse bald nass. Immer wieder trafen wir auch schlammige Passagen, welche wir aber zumeist gut umgehen konnten. Irgendwann erreichten wir jedoch einen Hohlweg, welcher auf mehreren hundert Metern zu einem Bach geworden war. Den langen Schlammpassagen konnten wir hier nur noch schwer ausweichen und mussten uns öfter durch das dichte und stachlige Unterholz neben dem Weg kämpfen. Dies kostete uns nicht nur Zeit und Energie, wir alle trugen zudem Kratzer an Armen und Beinen davon. Wir waren jedenfalls froh, als wir diesen Teil hinter uns hatten. Im Anschluss mussten wir alle die Socken wechseln, da das Wasser oben in die Schuhe eingedrungen war. Da die unmittelbar folgende Wegführung ähnliche Schwierigkeiten befürchten liess, wichen wir auf eine Waldstrasse aus und umgingen diesen Abschnitt.
Nach einem Anstieg erreichten wir das kleine Dorf A Laxe. Ausser einem alten Waschhaus mit herrlich kühlem Trinkwasser und Schatten gab es hier keine Versorgungsmöglichkeit. Nach einer verdienten Pause führte uns der Weg steil nach oben, zum höchsten Punkt des Tages. Dort erwartete uns eine weitere Überraschung: Der Weg war durch einen Elektrozaun ohne Durchlass blockiert. Wir folgten diesem auf der Nordseite auf einer Fahrspur, welche beim Aufbau des Zauns geschaffen worden war. Tatsächlich gelangten wir so schliesslich wieder auf den Weg zurück. Was dieser Zaun mitten im Wald einschliessen sollte, konnten wir nicht in Erfahrung bringen.
Kurz darauf trafen wir bei einem Bauernhaus auf die Teerstrasse. Dieser mussten wir nun mehrere Kilometer, meist in der prallen Sonne, folgen, was uns recht forderte. Es gab zwar kaum Verkehr, aber das heisse Wetter und der noch heissere Teerbelag machte uns schwer zu schaffen. Vor O Meson erreichten wir schliesslich den wieder gut markierten Camino del Norte und zudem, nach zwanzig Kilometern, auf die erste Bar.
Noch blieben weitere 6 km bis ins Ziel, jetzt aber wieder im Schatten und überwiegend abseits von Teerstrassen. Kurz vor Sobrado kamen wir an der Laguna de Sobrado vorbei, ein flacher von Seerosen bewachsener See mit vielen Wasservögeln. Am Zielort angelangt, herrschte Hochbetrieb auf dem zentralen Platz. Die Gartenrestaurants waren gut besucht und es war offensichtlich, dass hier wieder bedeutend mehr Pilger vorbeikommen. Seit Lugo hatten wir auf der Alternativroute nur ein paar wenige Leute getroffen, die wie wir den Camino Frances möglichst vermeiden wollten.
Vom Zimmer aus hatten wir eine schöne Aussicht ins Grüne und auf das nahe gelegene Kloster Santa Maria de Sobrado dos Monxes. Gegen Abend rafften wir uns noch zu einem Spaziergang auf, um die schöne Anlage zu besichtigen, die Kirche war jedoch bereits geschlossen. Am Empfang der Herberge holten wir uns zudem einen weiteren Stempel ab, denn heute hatten wir ausser in der erwähnten Bar keine Möglichkeit dazu gehabt.
21.8 km / 230 Hm / 4:15 h netto
Über Nacht war eine Kaltfront hereingezogen. Dies führte am Morgen zu einem kurzen Gewitter. Einige Minuten ging ein Platzregen nieder, welcher aber bald in einen harmlosen Nieselregen überging und nach eine Stunde konnten wir die Regenponchos wieder verstauen. Bald zeigte sich die Sonne wieder und am Nachmittage war der Himmel einmal mehr strahlend blau. Wenigstens hatten wir nun die Regenausrüstung nicht vergebens zwei Wochen mitgeschleppt.
Die Route war heute nicht sehr abwechslungsreich und folgte oft einer Teerstrasse, wenn auch ohne viel Verkehr. In Gandara legten wir eine kurze Mittagspause ein und bogen dann von der offiziellen Camino del Norte Route auf eine weitere Alternative ab. Diese schneidet eine zusätzliche Tagesetappe vom Camino Frances ab. Bis ins Etappenziel folgten wir noch lange 10 km einer Teerstrasse, nur unterbrochen durch eine Pause in der Bar Cabrita, irgendwo im Nirgendwo.
Die Herberge "Twin Pines" ist die einzige Übernachtungsmöglichkeit auf dieser Etappe. Zum Glück konnten wir dort problemlos einen Schlafplatz buchen. Bei der empfehlenswerten, aber nicht ganz günstigen Unterkunft handelt sich um ein Privathaus, welches zu einer Herberge umgebaut wurde und einige wenige Zimmer mit Verpflegung anbietet. Hier lernten wir wieder einige neue Leute kennen, u.a. ein Paar aus der Schweiz, den Italiener Roberto und Karsten aus Stuttgart.
Roberto und Karsten erklärten uns ihre Pläne für den folgenden Tag. Offensichtlich gab es eine weitere Routenvariante, welche den Camino Frances bis auf die letzten Kilometer nach Santiago hinein vermied. Da ich davon keine Kenntnis gehabt hatte und bereits eine Unterkunft in Pedrouzo gebucht war, konnten wir unsere Pläne nicht mehr anpassen. Allerdings wäre diese neue Option auf langen Strecken einer Hauptstrasse gefolgt, also nicht unbedingt eine schönere Lösung.
16,8 km / 250Hm / 3:20 h netto
So wie wir sie geplant hatten, gehört diese Etappe zu den kürzesten des ganzen Caminos. Deshalb mussten wir nicht früh aufbrechen. Laut Karte folgte auch unsere Route, vor allem am Anfang, mehrere Kilometer einer Teerstrasse. Wir beschlossen, auf eine Waldstrasse auszuweichen, welche parallel zur Strasse verläuft. Dieser war angenehmer zu gehen und durch den tief hängenden Nebel zudem sehr ruhig und mystisch. Bei O Campo de Feira wechselten wir jedoch wieder auf die Strasse, um einen all zu grossen Umweg zu vermeiden.
Nach dem Überqueren von Autobahn und Hauptstrasse trafen wir definitiv auf den Camino Frances und damit für uns auf eine andere Welt - breite, gut ausgebaute Wege und viele Leute. Wir legten in der nächsten Bar eine Paus ein. Ab hier gab es nun Bars und Unterkünfte zuhauf. Während der halben Stunde, die wir in der gut besetzten Bar verbrachten, kamen wohl mehr Pilger vorbei, als wir insgesamt auf dem ganzen bisherigen Weg gesehen hatten. Ob wir nach vorne oder zurückblickten, immer waren mehrere Wanderer zu sehen. Immerhin ist der Weg aber so angelegt, dass man nie auf einer befahrenen Strasse gehen muss. Wenn dies doch der Fall ist, verläuft parallel dazu ein separater Weg, bei diesen Menschenmengen schon aus Sicherheitsgründen ein Muss.
Wir erreichten Pedrouzo recht früh am Nachmittag. Der Ort ist geprägt von den Pilgern, welche gegen Abend die Hauptstrasse zunehmend bevölkerten. Unzählige Herbergen und Restaurants buhlen um das Geschäft. Wir fragten uns, wie es hier wohl in der Hauptsaison zu und hergehen wird? In einer coolen Openair Bar genossen wir einen Aperitif. Auf Empfehlung nahmen wir das Nachtessen im nahe gelegenen Restaurant Regueiro ein, was sich wiederum als guter Tipp herausstellte.
21,5 km / 390 Hm / 4:10 h netto
Nun stand also tatsächlich die letzte Etappe auf dem Tagesprogramm. Wir fädelten ausserhalb von Pedrouzo wieder in den Camino Frances ein. Da Pedrouzo eines der „offiziellen“ Etappenziele ist, starteten natürlich entsprechend viele Pilger zusammen Richtung Ziel.
Uns fiel auf, dass sich das bisher gewohnte Erscheinungsbild der Pilger gewandelt hat. Die meisten Leute wanderten nun mit einem kleinen Tagesrucksack, das heisst sie liessen sich das schwere Gepäck transportieren. Auffällig war ausserdem, dass die Tenüs jetzt eher sportlich, modisch daherkamen. Stöcke und Kniestabilisatoren gehörten offenbar für viele zur Standardausrüstung, obwohl der Weg kaum Steigungen oder schwieriges Terrain aufwies. Ein grosser Teil der Pilger wird sich wohl auf die letzten 100 km beschränken und sich diese so einfach wie möglich einrichten.
Nachdem wir den Flughafen nördlich umgangen waren, holten wir uns bei einer Kirche einen weiteren Stempel ab, um den Regeln zu genügen. Kurz darauf gönnten wir uns eine Kaffeepause etwa 100 m vom Camino entfernt. Wir stellten fest, dass vielen Leuten bereits bei einem kleinen Anstieg die Puste ausging. Wir waren unterdessen natürlich recht fit und bewältigten die Steigungen problemlos.
Beim Monte do Gozo machten wir den kurzen Abstecher zum Pilger Monument, von wo das erste Mal die Kathedrale von Santiago zu sehen ist. Danach erreichten wir schon bald die Aussenbezirke der Stadt. Noch waren aber über 4 km bis ins Zentrum zurück zu legen. Am Ende betraten wir durch einen kurzen Tunnel den riesigen Platz vor der mächtigen Kathedrale. Auch für uns war dies ein sehr emotionaler Moment, im Wissen, dass wir fast 350 km ohne grössere Probleme zu Fuss überstanden hatten.
Auf dem Weg zu unserer Unterkunft trafen wir im Gewimmel Roberto wieder. Ein guter Grund, zusammen ein Bier zu trinken und die vielen Erlebnisse zu teilen. Bevor wir unseren Übernachtungsort erreichten, holten die Cabreras ihren per Post vorausgeschickten Koffer ab. Diese kostengünstige Dienstleistung der spanischen Post klappte hervorragende und ermöglicht es, Kleider und sonstige Dinge, die man auf dem Camino nicht braucht, bequem transportieren zu lassen. Unsere Pension "Santa Rita" lag zwischen Zentrum und Bahnhof in einem eher ruhigen Quartier, einer der Gründe weshalb wir diese Unterkunft gewählt hatten.
Am nächsten Morgen gingen wir nach dem Frühstück als Erstes zum Pilgerbüro. Wir trafen kurz nach Öffnung um neun Uhr dort ein, so dass sich der Andrang noch in Grenzen hielt. Am Schalter lag unsere „Compostela“ schon bereit und auch die zusätzlichen Kilometer bzw. Routenbestätigungen wurden auf Wunsch ausgedruckt. Das ganze ist hervorragend organisiert, trotzdem kann es nachmittags, vor allem während der Hochsaison vorkommen, dass man einige Stunden auf seine „Compostela“ warten muss.
Vanesa besuchte die Messe um 9 Uhr 30 und erzählte uns danach, dass nur wenige Leute daran teilgenommen hatten. Silvio und ich spazierten unterdessen durch die Altstadt und statteten den Markthallen einen Besuch ab. Leider waren viele Stände geschlossen. Auf Nachfrage wurde uns erklärt, dass am Montag generell wenig los sei, da viele Händler an diesem Tag noch keine frischen Waren anbieten können.
Wir trafen uns wieder mit Vanesa und besuchten nun zusammen die Kathedrale. Das imposante Bauwerk ist zwischen den Messen für Besucher geöffnet. Übrigens, der berühmte „Botafumeira“, der riesige Weihrauchkessel, wird heutzutage nur noch an ganz wichtigen, religiösen Feiertagen geschwungen, oder aber es findet sich ein Sponsor, welcher bereit ist 450 Euro zu investieren.
Zum Mittagessen gingen wir ins Restaurant „Casa Manolo“. Wir waren etwas früh dort, da erst ab 13 Uhr geöffnet war, trotzdem hatten sich bereits einige Leute vor der Tür eingefunden. Bis wir eintreten konnten, standen bereits über 20 Personen in der Schlange. Wir waren darüber allerdings nicht überrascht, denn das Restaurant geniesst einen hervorragenden Ruf für seine ausgezeichnete Küche zu unschlagbar günstigen Preisen. Sie offerieren Mittags und Abends jeweils das gleiche Menü mit einer guten Auswahl an Gerichten. Wir konnten uns dem vorauseilenden Lob nur anschliessen.
Den Rest des Tages verbrachten wir in der Stadt und mit den Vorbereitungen für die Weiterreise am nächsten Morgen.
Der Schnellzug fuhr bereits kurz vor acht, sodass wir früh losmussten, damit noch Zeit für ein Frühstück blieb. Bei der Sicherheitskontrolle, welche wie an Flughäfen bei allen Schnellzugbahnhöfen stattfindet, wurde Silvios Taschenmesser mit dem Röntgengerät entdeckt und konfisziert. In Spanien ist es grundsätzlich verboten, mit einem Messer mit einer Klingenlänge von über 6 cm in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein. Während man als Pilger auf den Caminos kaum mit Problemen rechnen muss, ist man bei offiziellen Sicherheitskontrollen konsequent. Anstatt es weg zu werfen, schenkten wir das Messer einem Mann, welcher Freunde an den Zug gebracht hatte. Silvio war über den Verlust sehr enttäuscht, da das Messer ein Geschenk war, welches wir ihm nach Argentinien mitgebracht hatten
Die Zugfahrt dauerte etwa 4 h und war recht kurzweilig. Oft fuhr der Zug durch kaum bewohnte Hügellandschaften und hielt nur gerade an fünf Bahnhöfen auf der gesamten Strecke von 600 km. Unterwegs zeigte sich das Wetter oft bedeckt und zum Teil regnete es sogar. Als wir aber kurz vor Mittag in der Station Chamartin in Madrid eintrafen, schien die Sonne. Das Zugticket berechtigte uns zur Benutzung des ÖV für die Weiterfahrt ins Zentrum.
Zum Einchecken im Hotel war es noch zu früh, aber wir konnten immerhin unser Gepäck an der Rezeption deponieren. Wir vertrieben uns die Zeit mit einem Spaziergang in der näheren Umgebung. Das "Hostal Victoria" ist sehr zentral gelegen, einerseits nur 50 m von der Metrostation "Puerta del Sol", andererseits 5 Minuten zu Fuss von der "Plaza Major" entfernt.
Nach dem Einchecken konnten wir uns erfrischen und eine Siesta einplanen. Die Cabreras besuchten anschliessend einen nahegelegenen Decathlon Sportladen, um für ihre Kinder einiges an Kleidern einzukaufen.
Für das Nachtessen hatten wir im Restaurant „Taberna Tirso de Molina“, welches wir bei unserem Stadtbummel entdeckt hatten, einen Tisch reserviert. Das Essen war wiederum hervorragend. Vanesa und ich genossen eine Paella, die sehr reichhaltig und schmackhaft war.
Am folgenden Morgen dehnten wir unsere Stadtbesichtigung aus. Als Erstes steuerten wir die „Catedral de Santa María la Real de la Almuden“ an, ein weiteres, monumentales Bauwerk. Leider waren wir etwas früh dran, so dass die Kirche war noch geschlossen war. Unmittelbar daneben liegt der „Palacio Real de Madrid“, einer der Königspaläste. Schon vor der Öffnung warteten hier sicher 200 Personen vor dem Eingang. Ganz in der Nähe hatte der „Templo de Debod" unsere Neugierde geweckt. Dieser stellte sich aber als wenig beeindruckend heraus, nicht zuletzt, da die pittoresken Wasserbecken rund um das Bauwerk leer waren.
In einem unweit davon gelegenen Park steht ein grosses Denkmal, welches dem Dichter Cervantes, dem Autor von Don Quichote und Sancho Pansa, gewidmet ist. Ein langer Fussweg quer durch das Stadtzentrum brachte uns zur „Puerta de Alcala“ und den daran anschliessenden, riesigen „Parque de El Retiro", eine grüne Oase mitten im Trubel. Insgesamt legten wir an diesem Tag immerhin 13 km zu Fuss zurück.
Den letzten Abend unseres gemeinsamen Abenteuers wollten wir natürlich gebührend feiern. Zuerst gönnten wir uns einen Aperitif in der skurril dekorierten Bar „Rosi la Loca“ und wechselten dann ins Restaurant „La Finca de Susana“. Dieses Lokal ist ebenfalls sehr empfehlenswert. Es bietet sowohl lokale Gerichte als auch Speisen mit asiatischen Einflüssen an. Es hebt sich auf jeden Fall sowohl vom Ambiente als auch vom Essen her deutlich ab vom üblichen Angebot der meisten Restaurants, die wir bis anhin besucht hatten. Da es etwas von den Touristenhotspots entfernt liegt, ist es zudem nicht überlaufen und auch preiswert.
Am folgenden Morgen hiess es Abschied nehmen. Mein Flug sollte um 13.30h starten, der meiner Freunde erst um Mitternacht. So machte ich mich gegen Mittag auf den Weg zum Flughafen, während sie den Tag noch in Madrid verbrachten.
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Dave Röthlisberger (Samstag, 14 Juni 2025 20:00)
Tolle Leistung und wie immer natürlich mit sehr schönen Bildern.
Grosses Kompliment für die erbrachte Leistung.
Bis bald einmal.
Dave
Matter Rita (Sonntag, 22 Juni 2025 22:20)
Habt ihr gut gemacht. Wie immer sehr schöne bilder interessante berichte alles sehr eindrücklich . Liebe grüsse��